Das Minihaus auf Rädern

Nur 6,4 Quadratmeter! So winzig ist das „Tiny100“ von Architekt Van Bo Le-Mentzel, das als Denkanstoß für neues und bezahlbares Wohnen in der Stadt noch bis vor kurzem auf einem Anhänger am Carl-Herz-Ufer 9 in Berlin-Kreuzberg stand. Und doch bietet die „kleinste Musterwohnung Deutschlands auf Rädern“ und für fiktive 100 Euro Miete im Monat eigentlich alles, was man zum Leben braucht. Auf 2 mal 3,20 Metern gibt es Küchenzeile, Bett, Schreibtisch, Sofa, Toilette und Dusche. Möglich macht es die Deckenhöhe von 3,60 Metern. Mit einer verschiebbaren Holzleiter gelangt man in den oberen Schlafbereich, der gleichzeitig als Arbeitsplatz dient. Gebaut hat das Minihaus übrigens die Tischlerei Bock aus Braunau (665 Einwohner), einem Stadtteil von Bad Wildungen in Nordhessen.

Das Wohnen in Tiny Houses – übersetzt „winzige Häuser“ – kommt aus den USA und auch bei uns werden immer mehr Menschen vom Tiny-House-Fieber gepackt. Für kleinere Gebäude sprechen finanzielle und auch ökologische Gründe. Denn die überbaute bzw. versiegelte Fläche ist kleiner und der Bedarf an Baumaterialien geringer. Auch wird weniger Strom und Wärme verbraucht, wodurch es auch einfacher ist, die Häuser so zu errichten, dass sie autark nutzbar sind. Etwa durch eine Solaranlage, Regenwassernutzung oder Komposttoilette.

Die Bauart an sich ist keine neue Erfindung und auf dem Land sind Austragshäuser, Forsthütten, Datschen oder Ferienhäuschen seit langem bekannt. Weil man hier für die Familie aber meist große Häuser baut, die irgendwann dann nur von einer Person bewohnt werden, hat der Aufklärer Dieter Wieland bereits 2003 der großen Kunst, ein kleines Haus zu bauen einen ganzen Film im Bayerischen Fernsehen gewidmet. Anregungen, wie das Wohnen der Zukunft aussehen kann, bieten auch 40 innovative Mini-, Smart- und Micro-Häuser, die im 2016 erschienen Buch Winzig ausführlich vorgestellt werden. Touristisch interessant sind zum Beispiel das Hofgut Hafnerleiten bei Bad Birnbach (5.678 Einwohner), das Almdorf in den Nockbergen in Kärnten, die Winzerhäuschen in Longuich (1.306 Einwohner) an der Mosel, das Baumhaushotel in Gräfendorf (1.395 Einwohner) zwischen Spessart und Rhön oder das Schäferwagenhotel in Leinach (3.092 Einwohner) nahe bei uns in den Haßbergen.

Wenn sich Menschen freiwillig dafür entscheiden, ihren Wohnraum und ihren Besitz einzuschränken und so das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren, wird das postmoderner/neuer Minimalismus, Einfaches Leben oder Downshifting genannt und seht in Verbindung mit dem Teilen statt Besitzen (Sharing Economy). Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ suchen die Minimalisten nach einer Alternative zur Überflussgesellschaft und wollen ein selbstbestimmteres Leben führen. Vorbild für die modernen Aussteiger ist der große Nationaldichter der USA, Henry David Thoreau. In seinem Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“ hielt er seinen Teilzeit-Ausstieg fest, als er sich 1845 eine kleine Blockhütte zimmerte und etwas mehr als zwei Jahre lang allein auf einem Waldgrundstück am See Walden Pond in Massachusetts ein bisschen fischte, ein bisschen Bohnen zog, ab und zu eine Tasse Tee trank und folglich viel Zeit hatte, um über Freiheit und Natur zu sinnieren (gelesen von Frau DingDong).

Den Trend des bewussten Verzichts hat Le-Mentzel am 18.4.2017 im Internetradio detektor.fm recht schön erklärt und auch auf das Neue des Wohnens auf wenigen Quadratmetern hingewiesen: „Die Tiny-House-Bewegung beschäftigt sich mit der Frage, ob wir nicht anders wohnen sollten. Und dadurch, dass viele Tiny Houses auf Rädern sind, auf sogenannten PKW-Anhängern, ist auch die Frage nach dem Grundstück eine ganz andere. Normalerweise, wenn man ein Haus plant, muss man erst einmal ein Grundstück haben, das heisst man braucht einen Bausparvertrag oder muss irgendwie 30 Jahre lang Geld gespart haben, und muss praktisch sein Leben opfern (lacht), um sich so ein Haus leisten zu können. Also wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass man Grund und Boden kaufen kann. Die Tiny Houses wollen gar keinen Grund und Boden kaufen, sie brauchen einfach nur einen Ort, wo sie stehen können. Am besten Fall einen, der eh nicht genutzt wird.“

Gleich ein ganzes temporäres Dorf aus 20 unterschiedlichen Tiny Houses entsteht zur Zeit im Außenbereich des Bauhaus-Archivs in Berlin-Tiergarten. Die mobilen Raumstrukturen werden als Studienräume, Café, Ateliers, Werkstätten, Bibliothek und Orte der Begegnung gemeinsam genutzt und sind teilweise modular in mehreren Einheiten kombinierbar. In Form eines künstlerischen Experiments will man damit auf dem Bauhaus-Campus neue Wohnideen entwickeln und Antworten auf die Frage finden: „Wie wollen wir heute wohnen, arbeiten, lernen und lehren, um die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern?.“ Kurator ist Le-Mentzel und sein Tiny100 trat bereits als erstes auf den Plan. Das Experiment passt gut zum historischen Bauhaus, wo ja bereits vor 100 Jahren über das Wohnen neu nachgedacht wurde.


Bildnachweis © Tinyhouse University

Von Jens Lilienbecker

Was? Wie? Warum? Bei unserem Büro für Geographie und Kommunikation beschäftige ich mich mit gesellschaftlichen Trends und zeige auf Zukunft der Region Chancen und Potentiale für Regionen und Gemeinden im ländlichen Raum.

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