2014 ist es passiert: Zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende wurde der Run auf die Städte (Urbanisierung) gebrochen und mehr Inländer haben die Großstädte verlassen als hinzukamen. Auf den ersten Blick ist das etwas irritierend, denn seit Jahren haben Experten eine Landflucht (Land-Stadt-Wanderung) beklagt, wonach immer mehr (junge) Menschen in die Städte ziehen und die Dörfer „ausbluten“.
Doch die aktuelle Auswertung Raus aus der Großstadt? des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt tatsächlich, dass im Jahr 2014 die Binnenwanderungsbilanz aller 66 kreisfreien Großstädte wieder negativ wurde. Im Wesentlichen wird dieser relative Bedeutungsverlust durch das Abwanderungsverhalten der Familien bestimmt, also von den unter 18-Jährigen und den 30- bis unter 50-Jährigen.
Doch von einem „Ende der Urbanisierungswelle“ (wie z.B. der Spiegel-Artikel Stadt, Land, Flucht vom 30.8.2016 fragt) kann nicht gesprochen werden, relativiert die Wissenschaftlerin Antonia Milbert in den aktuellen BBSR-Analysen Kompakt: „(Re)Urbanisierung oder Suburbanisierung“, die bald auf der BBSR-Seite veröffentlicht werden. Schließlich ist das Abwandern der Familien aus den Großstädten keine neue Entwicklung. Zwischen 2000 und 2014 war ihr Saldo stets negativ gewesen, lag zuletzt aber immer unter dem Tiefstand aus dem Jahr 2000. Außerdem wachsen die Großstädte weiter, vor allem durch den hohen Zuzug aus dem Ausland (Außenwanderung, dadurch wächst ja auch die Bevölkerung in Deutschland insgesamt seit 2014). Und nach wie vor sind die Großstädte bei den 18- bis unter 30-Jährigen beliebt, die dort für das Studium oder den Berufseinstieg hinziehen.
Die Gründe für das Verlassen der Großstadt liegen außer der Sehnsucht nach mehr Ruhe, Natur und Übersichtlichkeit (Die Landlust) oder der Suche nach mehr Freiraum und Selbstverwirklichung wahrscheinlich in den fehlenden bezahlbaren Wohnungen und den hohen Lebenshaltungskosten. Das extremste Beispiel ist München, der am dichtest besiedelten Großstadt Deutschlands, wo die Angebotsmieten aktuell am höchsten sind (14 Euro pro Quadratmeter im Durchschnitt), die Leerstandsquote der marktaktiven Wohnungen am niedrigsten (0,2 Prozent laut Leerstandsindex vom Marktforschungsunternehmen Empirica) und das Leben rund 30 Prozent teurer ist als im Bundesdurchschnitt (Studie von Prognos im Auftrag der Initiative 7 Jahre länger leben der Deutschen Versicherungswirtschaft). Kommen jetzt plötzlich die Großstädter?
Nur selten geht’s aufs Land, sagen jedoch die oben zitierten BBSR-Analysen auf Seite 12: „Wer die Großstadt verlässt, wandert nicht automatisch aufs Land. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – sowohl insgesamt als auch nach Altersgruppen getrennt betrachtet – die aus Großstädten fortzieht, zieht entweder in eine andere Großstadt oder einen städtischen Kreis“ (im Umland der Großstädte).
Hingegen: „Menschen, die bereits auf dem Land leben, ziehen dagegen viel häufiger in einen anderen ländlichen Kreis. Mit Ausnahme der 18- bis unter 30-Jährigen haben Landbewohner keine so eindeutige Präferenz für eine neue städtische Umgebung wie Stadtbewohner. Mit Ausnahme der (Groß-)Stadt orientierten Ausbildungs- und Berufseinstiegswanderer orientiert sich Landbevölkerung zu annähernd gleichen Teilen auf Stadt und aufs Land.“
Stadtflucht? Landflucht? Was denn nun? Wie es aussieht, sind die Wanderungsbewegungen differenzierter und wir erleben jetzt beides. Für die Flächenentwickler im Umland der Großstädte sind das natürlich gute Nachrichten, aber auch für das Dorfleben kann und sollte man werben.
Für die Zuwanderung zeigen zwei prämierte Projekte aus Sachsen-Anhalt und Sachen neue interessante Ansätze. Im Naturpark Dübener Heide, der zwischen Dessau, Wittenberg und Leipzig liegt, wurde 2015 das Wächterhof-Projekt gestartet. In Anlehnung an die Wächterhäuser in Leipzig sollten für leer stehende Höfe, Häuser, Datschen, Gärten und Ladenlokale junge Menschen als temporäre Zwischenmieter gewonnen werden – nach dem Prinzip „Hauserhalt durch Nutzung“. 35 potenzielle Hofwächter-Anwärter, darunter junge Familien und Künstler wurden gefunden. Doch das Landleben auf Probe läuft noch nicht so richtig, da die alteingesessenen Hofbesitzer noch zögerlich sind. Auch fehlt dem Projekt wohl noch ein konkreter Ansprechpartner, der die Eigentümer und die Zwischenmieter beraten und unterstützen kann.
Auf umfassenden Service und Beratung setzt hingegen das zweite Projekt, die Nestbau-Zentrale, die im Landkreis Mittelsachsen bei der Suche nach Arbeitsplatz, Wohnung, Haus oder Baugrund hilft. Möglich wird das durch den Aufbau eines „Nestbau-Netzwerks“, bei dem die Kommunen, der Landkreis, Institutionen und Unternehmen der Region eingebunden sind. Auch die Standortwerbung ist eng mit dem Projekt verzahnt. Für Ostern 2017 ist eine Kampagne geplant.
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Hallo Herr Lilienbecker,
kleiner Nachtrag. Es muss einen nagelneuen Mietspiegel für Studentenbuden in D geben. Habe davon dieser Tage im Radio gehört. Spitzenreiter München wie zu erwarten mit 17 €/m² (!!!), Schlusslichter Leipzig und Bochum mit 6,15 €/m². Das sollte eigentlich, sollte man meinen, für studierwillige Abiturienten und deren Eltern als Abschreckung reichen …
Mit freundlichen Grüßen
Michael Geier