Lange wurde vor der schrumpfenden und alternden Gesellschaft gewarnt. Doch 2018 ist die Bevölkerung in Deutschland auf rund 83 Millionen gewachsen – dank Zuwanderung und leicht gestiegener Kinderzahlen.
Inzwischen gibt es zwar weniger Zuwanderer, aber Schätzungen zufolge werden zukünftig im Schnitt pro Jahr etwa 260.000 Menschen mehr nach Deutschland kommen als wegziehen. Wenn sich diese Entwicklung so fortsetzt, wird die Bevölkerungszahl bis 2035 etwa gleich bleiben – trotz Überalterung und damit verbunden mehr Sterbefällen als Geburten. Das sagt die vierte Fortschreibung des Berlin-Instituts voraus: Die demografische Lage der Nation.
„Doch mit dieser vorübergehenden Stabilisierung der Gesamtbevölkerung ist der demografische Wandel keineswegs außer Kraft gesetzt“, warnen die Autoren auf Seite 15 und verweisen darauf, dass sich die regionalen Unterschiede ausweiten (Unterschiede zwischen boomenden Großstädten und entlegenen Regionen, Nord-Süd-Gefälle) und die meisten Regionen bis 2035 an Bevölkerung verlieren werden.
Besonders hart trifft es Ostdeutschland, wo ländliche Regionen durchgängig verlieren. Aber auch im Westen der Republik zeichnen sich regionale Bevölkerungsverluste ab: Vor allem entlang der früheren innerdeutschen Grenze, im Südosten Niedersachsens, in Nord- und Mittelhessen, in Südwestfalen, im Ruhrgebiet, in großen Teilen von Rheinland-Pfalz und im Saarland. Umso wichtiger wird es, in diesen Gebieten neue, unkonventionelle Ideen zur Daseinsvorsorge umzusetzen, empfehlen die Verfasser.
Den stärksten Einbruch wird es laut der Studie übrigens bei der Gruppe der 20- bis 64-Jährigen, also bei der klassischen Erwerbsbevölkerung geben, weil sich die Babyboomer bis 2035 in den Ruhestand verabschieden. Folgerichtig steigt damit der Anteil der Älteren und die Zahl der Erwerbsfähigen sinkt (Fachkräftemangel, Belastung des Rentensystems). Allein in Bayern gibt es zwölf Kreise, in denen die Ruheständler bis 2035 um über 50 Prozent anwachsen werden.
Überraschendes bietet auch das Ranking der 401 Kreise und kreisfreien Städte. Denn bei der wirtschaftlichen Bewertung können einige Landkreise in Thüringen, aber auch sächsische und hauptstadtnahe brandenburgische Landkreise gegenüber den erfolgreichen baden-württembergischen und bayerischen Gebieten aufschließen. Spitzenreiter z.B. bei den Beschäftigungsquoten ist Hildburghausen (61,42 Prozent) in Südthüringen. Nirgendwo sonst in Deutschland sind anteilig so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Interessant sind auch die 21 Indikatoren, die am Ende der Studie aufgelistet sind – jeweils mit Maßeinheit, statistischer Datengrundlage und der Spanne der Extremwerte. Zugleich machen sie deutlich, wie sich heutzutage die Zukunftsfähigkeit von Regionen ermitteln lässt:
„Bei der Einschätzung der Zukunftsfähigkeit stützen wir uns auf demographische und wirtschaftliche Indikatoren, beispielsweise ob mehr Menschen zu- statt abwandern oder ob viele Bewohner einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Attraktive Regionen können außerdem im Bereich der Bildung punkten, die in unserer Wissensgesellschaft immer wichtiger wird, und bieten ein familienfreundliches Umfeld. Dazu gehören ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuung und genügend Platz zum Wohnen“, hat uns Manuel Slupina, der Ressortleiter Demografie Deutschland am 29. April 2019 dazu per Mail geantwortet.
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