Was ist das Erfolgsgeheimnis im ländlichen Raum? Eine Antwort liegt vielleicht darin, dass man Begegnungs- und Kommunikationsorte schafft, wo die Menschen zusammenkommen, um sich auszutauschen und auch an gemeinsamen Vorhaben arbeiten. Das was früher eben die Gastwirtschaft, der Bäcker oder der Metzger waren, die aber häufig nicht mehr da sind.
Der Fachbegriff für solche Orte lautet Third Places, auf deutsch „Dritte Orte“, und wurde bereits 1989 von dem amerikanischen Stadtsoziologen Ray Oldenburg in dem Buch The Great Good Place geprägt, der darin den Niedergang des sozialen Lebens in den eher einförmigen Vorstädten der USA scharf kritisierte und für Funktionsmischungen innerhalb von Gebäuden, Vierteln und ganzen Städten warb: Menschen bräuchten nicht nur das Zuhause als ersten und den Arbeitsplatz als zweiten Ort, sondern noch einen dritten Ort, an denen sie sich regelmäßig und zwanglos treffen und austauschen können. Im besten Fall: „A home away from home“ (Seite 38), also das Gefühl eines „zweiten Zuhauses“.
Heute ist der Begriff aktueller denn je (siehe HuffPost Deutschland von 2015: Warum wir Dritte Orte brauchen) und hat in den neuen Erlebnis- und Arbeitswelten (Workcafé, Coworking Spaces etc.) Bedeutung. Auf dem Land sind etwa Mehrgenerationenhäuser neuere Beispiele für Dritte Orte, die als „öffentliche Wohnzimmer“ für Alt und Jung funktionieren, oder multifunktionale Dorfläden, die nicht nur Waren des täglichen Bedarfs, sondern auch Dienstleistungen anbieten und ein Café als Treffpunkt beherbergen.
Spannend ist die Auseinandersetzung mit dem Thema derzeit in der Kulturpolitik und Dritte Orte werden dort als Instrument genutzt, um Heimatmuseen, Theater, Stadtbüchereien, Kulturzentren, Volkshochschulen, Literaturhäuser oder Musikschulen auf dem Land zu kulturellen Begegnungs- und Erlebnisorten weiterzuentwickeln. Die Landesregierung von NRW will dazu ein eigenes Förderkonzept auflegen und bereits seit 2016 fördert die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Programms Trafo-Modelle für Kultur im Wandel Projekte, die exemplarisch für die Transformation in ländlichen Räumen stehen.
Warum und wie das Kulturangebot auf dem Land weiterentwickelt werden muss, hat Hortensia Völckers, die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung auf Seite 5 und 6 des Programmheftes für den Ideenkongresses zu Kultur, Alltag und Politik auf dem Land erklärt, der vom 19. bis 21. September 2018 in Halle an der Saale stattfand:
„Die Kultureinrichtungen, und das sind ja selbst in entlegeneren Gebieten noch beträchtlich viele, werden ihre Angebote erweitern müssen. Kultureinrichtungen, die sehr spezialisiert sind, z.B. nur auf Musik oder Ausstellungen, werden es schwer haben, ausreichend Publikum zu finden. Dafür gibt es an vielen Orten durch Ab- und Zuwanderung einfach nicht mehr genug Nachfrage der Menschen vor Ort. Wir brauchen also ein breiteres Angebot in den Häusern selbst, und sie sollten sich mehr mit Nachbareinrichtungen abstimmen. Man spricht heute von sogenannten Dritten Orten, wo sich die Bevölkerung mit immer unterschiedlicher werdenden Interessen und Voraussetzungen begegnen kann. Da geht es nicht in erster Linie um Kunsterlebnisse, sondern um eine Kultur des gesellschaftlichen Miteinanders zur kreativen Gestaltung eines guten Lebensumfeldes. Solche Dritten Orte brauchen wir übrigens auch in den Städten. Auf dem Land sieht man nur deutlicher, was auf dem Spiel steht, wie existenziell wichtig Kultur für den sozialen Zusammenhalt und für die Lebensqualität ist. Da sind die Erosionsprozesse oft schon in einem fortgeschrittenen Stadium.“
Eines der besten Beispiele dafür stammt aus dem Dorf Altranft (916 Einwohner), Ortsteil von Bad Freienwalde im brandenburgischen Oderbruch an der deutsch-polnischen Grenze. Dort gibt es das Museum Altranft, ein ehemaliges Freilichtmuseum aus den 1970er Jahren, das 2015 sogar geschlossen werden sollte. In Trafo wurde eine Neukonzeption auf den Weg gebracht und aus dem Museum entwickelt sich jetzt eine „Werkstatt für die Region“: Das heißt, dass die Bewohner der Region eingeladen werden, an den Inhalten und Themen des Museum mitzuarbeiten und das führt zu einer ständigen Veränderung innerhalb des Museums und der Ausstellung. Neben Gegenständen sammelt das Museum nun Geschichten, es werden Theaterstücke inszeniert, Ausstellungen kuratiert, Debatten zur Zukunft des Oderbruchs organisiert und regionale Jahresthemen behandelt: vom Handwerk, über das Wasser bis zur Landwirtschaft. Darüber hinaus vernetzt sich das Museum mit den Heimatstuben und Dorfmuseen, kulturellen Initiativen und den Gemeinden der Region.
Foto: Johanna Olm / Kulturstiftung des Bundes
Danke für die anregenden Gedanken und vor allem deren Aufbereitung liebe Frau und Herr Lilienbecker.