In Deutschland gibt es immer weniger Pflanzen und Tiere. Vor allem bei Vögeln und Insekten sind die Rückgänge erschreckend. Gegenüber dem 19. Jahrhundert sind die Vogelbestände sogar um 80 Prozent zurückgegangen, schlägt der bekannte Vogelforscher Prof. Peter Berthold Alarm, und zwar in seinem neuen Buch Unsere Vögel – Warum wie sie brauchen und wie wir sie schützen können, das 2017 erschienen ist. Ob Feldlerche, Kiebitz oder Rebhuhn – man bekommt sie kaum noch zu Gesicht.
Doch der ehemalige Direktor des Max Planck Instituts für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, war es leid, immer nur das Artensterben zu beklagen und auf die Einsicht der Politik zu hoffen. Berthold wollte handeln und am Ende seiner universitären Laufbahn endlich auch mal umsetzen, „was wir wissen und erforscht haben“. 1988 entwickelte er daher mit zwei Kollegen einen neuen Ansatz, der sich vom behördlichen Naturschutz („halbherzig und bislang erfolglos“ Seite 136 ff.) und radikalen Forderungen nach einer Rückkehr zu mehr ökologischer Bewirtschaftung auf der gesamten Fläche („völlig unsinnig, dazu ist der ökonomische Druck auf unsere Flächen schon jetzt viel zu hoch“ Seite 165) grundlegend unterscheidet: Jeder Gemeinde ihr Biotop lautet seine Vision.
Durch die Renaturierung von bestimmten Flächen, auf die man gut verzichten kann, soll über ganz Deutschland verteilt zwischen den Ortschaften ein dichtes Netzwerk hochwertiger Lebensräume entstehen, das den meisten Arten eine Chance bieten würde, zu überleben und größere Populationen aufzubauen.
„Also im simpelsten Fall ein Stück plattes Land, was früher vielleicht mal sehr schön strukturiert war, im Mittelalter vielleicht sogar Feuchtgebiet gewesen ist, Weiher gehabt hat, jetzt ein Maisfeld ist, aber sehr nass. Das nehmen wir aus der Nutzung raus, machen mit dem Bagger ein Loch in den Boden, schauen, dass sich dort Schilf ansiedelt, haben ein neu geschaffenes Biotop für Tiere und machen in einer angemessenen Entfernung das nächste. Dadurch entsteht der Verbund, dass die Dinge nahe beieinander liegen“, erklärt Berthold am 24.11.2017 im Video Fünf vor zwölf! Der Naturtalk.
Zum ersten Mal wurde das neue Naturschutzkonzept am Bodensee ausprobiert, wo 2005 der „Heinz-Sielmann-Weiher“ im Owinger Ortsteil Billafingen (728 Einwohner) eingeweiht wurde, benannt nach dem großen Tierfilmer Heinz Sielmann und die Sielmann-Stiftung hat das Projekt auch wesentlich finanziert. Der Weiher hat drei Inseln und ist rund 1,3 Hektar groß. Ihn umgibt ein Mosaik aus Tümpeln, Schilfflächen, Säumen, Hecken und Gräben („Schutzzaun“). Seit 2011 beweiden Wasserbüffel das Weiherumfeld.
Nach der Einrichtung des Weihers stieg die Anzahl der beobachteten Vogelarten um 50 Prozent auf insgesamt 179 Arten. Außerdem siedelten sich Amphibien, Tagfalter und Libellen an. Besucher können die nun reichhaltige Natur von einer Aussichtsplattform und einem Hochstand aus beobachten und werden so in der ausgeräumten Kulturlandschaft wieder an die Natur herangeführt. Inzwischen sind im Netz des Biotopverbundes Bodensee über hundert weitere Biotopbausteine an 36 Standorten entstanden.
Ganz praktisch wird es im zweiten Teil des Buches, wo Berthold nachvollziehbar die einzelnen Maßnahmen beschreibt, die Vogelfreunde und Naturschützer in ihren Gemeinden ergreifen können, um neue Biotope zu schaffen: Angefangen von der Auswahl des geeigneten Biotoptyps (Feuchtgebiet, aber auch Auwald, Wald- und Gebüschzonen an Gewässern, aufgelassene Steinbrüche, Kiesgruben, Wacholderheiden, Trockenrasen, artenreiche Mähwiesen können sinnvoll sein), der Verfügbarkeit der Flächen bzw. Klärung der Besitzverhältnisse (Flächen, die für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte weniger geeignet sind) über die Prüfung der Machbarkeit (boden- und wasserkundliche Vorprüfungen, evtl. Einrichtung von Weiden) und die Beschaffung der Genehmigungen (Beschlüsse Ortschafts- und Gemeinderat, Vor-Ort-Termin mit Behörden) bis hin zur Trägerschaft (am besten Gemeinde als Projektträger und Besitzer, kleinere Pflegemaßnahmen über Bauhof) und Mittelbeschaffung (Stiftungen, Spenden, Ökokonto für die Ausgleichsmaßnahme oder Förderprogramme).
An Gesamtkosten für Biotope in der Größe vom Heinz-Sielmann-Weiher muss mit 250.000 bis 500.00 Euro gerechnet werden, je nach Kosten für den Grunderwerb, den Bau und die Nebenkosten. Aber Berthold warnt ausdrücklich davor, angesichts dieser Summen doch bescheidener zu planen. Denn bei kleineren Weihern sinken die Brutvögelarten und Raritäten sind kaum zu erwarten, sagt er voraus: „Man ist irgendwann enttäuscht und ärgert sich schwarz, dass man nicht größer geplant und sich nicht mehr Zeit genommen hat, um das dafür erforderliche Geld zu beschaffen“ (Seite 205).
Und ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass durch diese Vorgehensweise die Bürgerinnen und Bürger hinter diesen Projekten stehen und auch bereit sind, sich für „ihr Biotop“ zu engagieren.
Luftaufnahme von Andreas Hammer