Richtiges Brot ist typisch deutsch und die regionale Vielfalt ist historisch gewachsen. Im Norden und Westen isst man mehr Roggen-, im Süden mehr Weizen- und Dinkelbrot. 2014 schaffte es die Tradition des Brotbackens sogar auf die bundesweite UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes.
Doch bereits der Antrag auf den (Welt-)Kulturerbestatus erschien dem Brot-Blogger und Autor mehrerer Standardwerke zum Brotbacken Lutz Geißler „entweder wie ein Satirestück oder wie ein flehender Hilferuf, den letzten Rest der Brotkultur vor seinem Untergang zu schützen“ (Greenpeace Magazin 6/2014). „Backt euer Brot selber“, empfiehlt er im MDR Fernsehen 2017 statt dessen allen, die auf der Suche nach gutem Brot sind oder sich das handwerkliche Wissen und Können aneignen möchten, um sich gesünder und bewusster zu ernähren. Besonders in ländlichen Regionen erlebt der Trend zum Selbermachen (vgl. Marmelade kochen, Kuchen backen, wursten, räuchern, imkern, Sauerkraut stampfen, Bier brauen, Schnaps brennen etc.) eine Renaissance: Backöfen werden hergerichtet, Brotbackkurse abgehalten, Brotrezepte ausgetauscht usw.
Denn anders als in Frankreich, wo drei Viertel aller Baguettes noch von 34.000 handwerklichen Bäckereien (boulangeries artisanales) stammen und das „baguette de tradition française“ seit 1993 gesetzlich geschützt ist, nur Mehl, Wasser, Salz und Hefe drin sein darf und es vor Ort gebacken werden muss, wie der Journalist Walter Mayer in seiner aktuellen Liebeserklärung an das Brot aufzeigt, gibt es 2016 laut Deutschem Bäckerhandwerk nur noch 11.737 Handwerksbäckereien, zehn Jahre vorher waren es deutschlandweit noch 16.280. Viele kleine Traditionsbetriebe haben in den letzten Jahren aufgegeben, weil Brot überall im Discounter, im Backshop, in den Bahnhöfen oder an der Tankstelle zu haben ist, wo zwar mit Frische, Handwerk und Leidenschaft geworben, aber gar nicht mehr selber gebacken wird, sondern nur tiefgefrorene Teiglinge aufgebacken werden („Bräunungsstudios“). Andere Bäcker hingegen glauben, kaum mehr anders zu können, als zu Backmitteln und -mischungen aus dem Labor zu greifen, um tagtäglich eine scheinbare Angebotsvielfalt auslegen zu können, wie das Wochenmagazin Stern 2017 das Märchen vom deutschen Brot aufgedeckt hat. Aber damit werden sie mit dem Discounter vergleichbar, weil sie dann eine ähnliche Qualität backen.
„Das Industriebrot ist nicht generell schlecht, man fällt nicht um, wenn man das isst und es schmeckt teilweise auch, wobei ich schon eine gewisse Leere in dem Brot empfinde, wenn ich es esse. Das unterscheidet sich mittlerweile für mich doch sehr stark vom handwerklich gemachten Brot“, hat der oben zitierte Mayer am 8.12.2017 in der Radiosendung Neugier genügt im WDR 5 versucht, die Unterschiede deutlich zu machen: „Ich persönlich denke, man schmeckt, ob ein Brot aus anonymen Mehl aufbereitet wird, das behandelt wurde, damit es durch die riesigen Maschinen flutschen kann, oder ob es von einem Bäcker stammt, der möglicherweise das Feld und den Bauern kennt, von dem er das Mehl bezieht, den Müller kennt, seinen eigenen Sauerteig zieht, es mit seinen eigenen Händen knetet, es ruhen lässt.“
Zum Glück gibt es längst wieder eine Rückbesinnung auf Tradition, einen Gegentrend zum alten, echten Handwerk, den auch Mayer bei der Recherche für sein Buch festgestellt hat: Gutes Brot ist zur Zeit gefragt wie lange nicht mehr und vielleicht gab es auch noch nie so viel gutes Brot wie heute.
Einer, der noch von Hand bäckt, ist der Brot-Pionier Arnd Erbel, der in zwölfter Generation den 1680 gegründeten Familienbetrieb in Dachsbach (1.705 Einwohner) im mittelfränkischen Aischtal führt. Als „Freibäcker“ (der Begriff geht eigentlich auf jene wenigen Bäcker im Mittelalter zurück, die in manchen Städten eine Art Alternative zu den übermächtigen Zunftbäckern sein konnten) ist er hochgradig unabhängig, denn er bäckt ohne Backmittel und Backmischungen mit den immer gleichen Eigenschaften. Dafür kauft er sein Getreide direkt beim Biobauern Karl Brehm aus Lonnerstadt (1.998 Einwohner), mahlt es selbst oder lässt vom Müller Michael Litz in Germsdorf (1.619 Einwohner) mahlen. Jedes Feld, jede Ernte ergibt ein anderes Mehl mit unterschiedlichen Backeigenschaften (Terroir-Mehl) und Erbel freut sich schon, was die neue Ernte wohl bringt. Nur seinem Sauerteig ist er gewillt, sich unterzuordnen, weil er den für den Vorteig braucht. Erbel beliefert auch die Spitzengastronomie und ist mit seiner Kreativität ein gutes Beispiel dafür, dass Tradition nicht Stillstand bedeutet. Zum Sechs-Gänge-Menu passt zum Beispiel ein Einkorn- oder Hartweizenbrot mit milderen Aromen als das gewürzte Bauernbrot.
Ein interessantes Konzept verfolgt der Betriebswirtschaftler Sebastian Däuwel, der sich als Quereinsteiger in den Kopf gesetzt hat, richtig gutes Brot zu backen, aber auf Nachtarbeit keine Lust hatte – schließlich würden die Leute ja auch erst nachmittags ihr Brot kaufen, ist er überzeugt. In seiner Bäckerei Die Brotpuristen in Speyer (49.930 Einwohner) am Oberrhein gibt es von Dienstag bis Freitag nur drei Sorten Brot, wobei die Auswahl variiert und der Laden nur von 15:30 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet hat. Wer sicher gehen will, das pure Brot auch wirklich zu bekommen, sollte im Online-Shop reservieren, verschickt wird jedoch (leider) nicht.
Neben der Produktion ist es auch wichtig, über die Entstehung guten Brotes zu informieren und darüber zu kommunizieren. 2017 hat die Bäckerei Wiesender in der Kreisstadt Pfaffenhofen an der Ilm (25.226 Einwohner) in Oberbayern eine Schaubäckerei mit integriertem Themenweg „Weg der Nahrung – vom Korn zum Brot“ eröffnet. Angefangen von den Getreidesorten gelangt man über den Sauerteig-Raum bis ins Obergeschoss, wo die verschiedenen Brotsorten erklärt werden und Panoramafenster einen Blick in die moderne Backstube gewähren. Zusätzlich werden Führungen und Veranstaltungen durch das gesamte „Backerlebnishaus“ angeboten.
Zum Schluß wollen wir noch auf die 22 Allgäuer Bäcker hinweisen, die in einem intensiven Entwicklungsprozess gemeinsame Qualitätskriterien aufgestellt und sich nun 2017 zu einem Verein zusammengeschlossen haben, um die handwerkliche Tradition im Allgäu für künftige Generationen zu erhalten. Denn schließlich ist Brot Heimat und kann ein Gefühl von Identität vermitteln.
Foto von Andreas Riedel
Ich finde, diesen Artikel besonders gut, denn erweckt den Begriff Heimat mit Leben und lädt zu nachmachen ein.
Super! Vielen Dank lieber Herr Boxhammer.
Als weitere Anregung möchte ich noch ein interessantes Projekt aus Oberfranken erwähnen: https://www.mein-heimatbrot.de/
Sehr gut vernetzt mit unterschiedlichen Anbietern regionaler Genusshandwerker.