Alte Häuser erhalten und wiederbeleben. Den Ortsplatz gestalten. Ein neues Dorfzentrum bauen. „Wie können wir es gut und schön machen?“ lautet die entscheidende Frage bei der Ortsentwicklung. Experten sprechen dann gerne von (regionaler) Baukultur, was ein bisschen abgehoben klingt. Doch gerade auf dem Land gilt: Die Qualität der gebauten Umwelt geht uns alle an und ist viel mehr als Architektur. Im besten Fall kann sie nämlich Identität und hohe Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger schaffen und sogar touristisch interessant sein (neues Forschungsprojekt ist 2017 gestartet).
Doch wie entsteht gutes Planen und Bauen überhaupt? Liegt es am vorausschauenden (ehemaligen) Bürgermeister wie in Weyarn (3.494 Einwohner) im Voralpenland, am dickköpfigen Architekten wie in Blaibach (1.923 Einwohner) im Bayerischen Wald oder an den Impulsen von außen wie in Burbach (14.969 Einwohner), der südlichsten Gemeinde in Westfalen?
Alles (auch) richtig! Doch Baukultur entsteht vor allem dort, „wo die Menschen die Gestaltung ihres Lebensraumes aktiv in die Hand nehmen.“ So lautet die zentrale These von LandLuft. Seit 1999 setzt sich dieser in Moosburg (4.529 Einwohner) am Wörthersee ansässige Verein für die Förderung von Baukultur in ländlichen Räumen in Österreich und Deutschland ein und hat bereits dreimal einen „Baukulturgemeinde-Preis“ ausgelobt.
Der mit der Auszeichnung bezweckte Blick auf innovative Baukultur und die Menschen dahinter erweitert das Verständnis von Baukultur: Nicht mehr das Produkt, das „schöne“ Bauwerk steht im Vordergrund, sondern der Prozess, also die Art und Weise, wie das Bauwerk entstanden ist, wie es sich auf die Herausforderung des jeweiligen Ortes einlässt und welche Personen auf welche Weise den Planungsprozess von Anfang an mitbestimmt haben, erläutern die LandLuftler ihre Bewertungskriterien.
Und genau das ist es, die gewissenhafte Projektvorbereitung und besondere Herangehensweise an die Bauaufgabe, was eine „Baukulturgemeinde“ grundlegend von anderen Kommunen unterschiedet, hat die immer noch lesenswerte Studie Baukultur in ländlichen Räumen aus dem Jahr 2013 als Fazit gezogen. Die Kultur des Bauens (und des Planens) hängt von der Qualität des Entwicklungsweges (Prozessqualität) ab und jeder bauliche Eingriff – und sei er noch so klein – kann eine gute Gelegenheit für die Bürgerbeteiligung sein, sich mit der Zukunft der Gemeinde intensiv auseinanderzusetzen, geben die Autoren allen mit auf den Weg, die sich in ähnliche Prozesse einbringen möchten.
Für die Architekten bedeutet das: Sie sollten in jedes Projekt mit der sogenannten „Phase Null“ starten, bei der alle Beteiligten (Nutzer, Politik, Verwaltung, Planer) zusammenkommen, um gemeinsam Ziele für Ihr Vorhaben zu definieren und entscheidende Weichen zu stellen. Der Begriff nimmt Bezug auf die Einteilung der Leistungsphasen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Die dort vorgesehenen Leistungsphasen 1 bis 9 schließen eine solche Planung im Vorfeld (noch) nicht ein. Im neuen Baukulturbericht 2016/17, der diesmal lobenswerter Weise den Fokus nicht auf die großen Städte, sondern auf mittel- und kleinstädtische sowie ländliche Räume legt, wird die „Planung der Planung“ auf Seite 110 dringend empfohlen:
„Ein offener Prozess und eine kluge und strukturierte Phase Null integrieren externes Expertenwissen und lokale Erfahrung. Sie reduzieren potenzielle Hemmnisse, schaffen die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Akteure und führen zu besseren Lösungen bei meist auch finanziell geringerem Aufwand. Gerade für kleinere Gemeinden mit knappen Ressourcen und klaren, weniger komplexen Strukturen ist das ämterübergreifende und alle Beteiligte einbindende Miteinander schon heute häufig geübte Praxis und künftig in jeder Hinsicht der einzige Weg.“
Die Phase Null kann zu den neuen Werkzeugen und Instrumenten (z.B. Bauworkshop, Ideentische, Instand-/Zwischennutzung, Leitbildentwicklung, Online-Dialog, Stadtsafari etc.) gezählt werden, die in den letzten Jahren für eine kooperative Stadt- und Regionalentwicklung entwickelt worden sind. Wie die Phase Null auf dem Land konkret funktionieren kann, zeigt beispielsweise das Architekturbüro nonconform: Das Team um Roland Gruber baut dazu vor Ort ein temporäres Ideenbüro auf, wickelt das betreffende Gebäude mit signalgelben Ideenbändern ein, verteilt Ideengläser, die mit Skizzen und Vorschlägen von der Bevölkerung gefüllt werden und gibt mit Faltblättern, Spezial-Zeitschriften, Videos, Internetseite, Online-Spiel und klassischer Pressearbeit richtig Vollgas, um die Leute zu aktivieren und zu motivieren, ihre Ideen und Visionen für das geplante Bauvorhaben einzubringen. Auf einer zwei- bis dreitägigen intensiven Ideenwerkstatt werden dann live mit den Bürgern und Verantwortlichen konkrete räumliche Zukunftsszenarien ausgetüftelt und im großen Finale die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. In der Tiroler Gemeinde Fließ (2.993 Einwohner) wurde die Ideenwerkstatt sogar mit einem Architekturwettbewerb kombiniert.
Bildnachweis: © nonconform
Ich finde dies einen sehr wichtigen Ansatz für die Zukunft – leider wird diese Art der Beteiligung aber gerade in kleinen Kommunen viele „eingefahrene“ Gemeinderäte überfordern, da diese ja etwas von ihrer Entscheidungs-„Macht“ abgeben müssten …