Viele junge Frauen verlassen ländliche Regionen und ziehen in die Städte, besonders stark in Ostdeutschland. Auf 100 Männer kommen dort aktuell im Schnitt 87 Frauen, zeigt eine aktuelle Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die Wissenschaftlerinnen untersuchten Daten auf Kreisebene zu Wanderungen der 18- bis 29-Jährigen im Jahr 2014. Junge Frauen sind demnach deutlich mobiler als gleichaltrige Männer. Das führt lokal zu sehr ungleichen Geschlechterverhältnissen: Während in den meisten Großstädten die jungen Frauen in der Mehrheit sind, liegt der Anteil junger Männer in dünn besiedelten Regionen überproportional hoch. Hier fehlen die Frauen als qualifizierte Fachkräfte, als potenzielle Partnerinnen und Mütter sowie als Teil der sozialen Netze.
Hauptgrund für die Abwanderung ist vielerorts ein Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, der nicht genügend qualifizierte Stellen bietet, hatte die vorhergehende BBSR-Analyse Auf der Suche nach dem guten Leben bereits zu den geschlechtstypischen Wanderungen festgestellt und das u.a. mit dem Bildungsgefälle zwischen Frauen und Männern und „den Vorstellungen der Moderne hinsichtlich eines guten Lebens“ begründet: Die höher Qualifizierten, also die jungen Frauen, gehen nämlich zuerst, was sich mit dem Schlagwort Braindrain (Talentschwund) schön auf den Punkt bringen lässt. Aufgrund ihrer höheren und besseren Schulabschlüsse erwarten sie, in den größeren Städten vielfältigere Optionen für ihre Berufsausbildung und zukünftige berufliche Perspektive vorzufinden. Aber auch die Infrastrukturausstattung, das Wohnumfeld, die „Enge des Dorflebens“ bzw. eine Vorliebe für weniger traditionelle Lebensstile spielen als Abwanderungsmotive eine Rolle.
Die jungen Frauen sind aber nicht allesamt abwanderungswillig. Das zeigt die Studie Gehen oder Bleiben?, die in zehn ausgewählten Landgemeinden in der Steiermark erhoben und 2010 als eine der ersten im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurde. Doch gerade in der Altersspanne zwischen 20 und 30 Jahren befinden sich die jungen Frauen in einer äußerst dynamischen Lebensphase, in der viele Lebensentscheidungen fallen, die auch mit Entscheidungen für oder gegen das Bleiben bzw. dem Gehen und dem (Nicht-)Wiederkommen verbunden sind:
„Dabei tut sich ein persönliches Spannungsverhältnis auf zwischen einerseits der emotionalen Bindung an die Herkunftsgemeinde und – vor allem in strukturschwachen ländlichen Gemeinden – strukturell bedingten Unmöglichkeiten, vor Ort das Leben führen zu können, das frau sich wünscht, und anderseits dem Gelocktwerden von den (möglichen) Attraktivitäten des ins Auge gefassten Zielortes. Das bedeutet, dass die Bindefaktoren der Zielgemeinde und die Faktoren, die junge Frauen am derzeitigen Wohnstandort als „abstoßend“ empfinden, zueinander in Beziehung gesetzt werden, und so die individuelle Entscheidung bestimmt, zu gehen oder zu bleiben“, schreibt die Autorin der Studie, die ehemalige Leiterin des Instituts für Raumplanung und ländliche Neuordnung an der Universität für Bodenkultur Wien Prof. Gerlind Weber im aktuellen Heft 2.2016 der Informationen zur Raumentwicklung auf Seite 228.
Junge Frauen lassen sich in keine Schublade pressen. Die Zielgruppe ist heterogen, ihr Bleibe- und Wanderungsverhalten ist daher schwierig zu beeinflussen. Als Fazit empfiehlt die Raumwissenschaftlerin daher, nicht nur einseitig auf die jungen Mütter und auf den „Klebstoff Kinder und Hausbau“ zu setzen. Auch müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, „entweder frau bleibt für immer in der Herkunftsgemeinde oder frau geht für immer von dort fort.“ Denn biographische Brüche, Umwege und Neuanfänge gehören durch die heutige Individualisierung eben zum Standard. In der Konsequenz müssen die unterschiedlichen Ansprüche von „Bleibeorientierten, Abwanderungsbereiten und Rückkehrwilligen“ berücksichtigt und in ein Gesamtkonzept zur Bewältigung des demographischen Wandels eingebettet werden. Zuzüglerinnen und Rückkehrerinnen können etwa durch den Aufbau von Unterstützungsnetzwerken wie Comeback Elbe-Elster und maßgeschneiderten Rückkehrangeboten (z.B. Startwohnungen), aber auch durch Lernorte oder Technologie-Labore sowie Exzellenzinitiativen im ländlichen Raum gezielt angesprochen werden. Hier sind beispielsweise das Talentehaus in Niederösterreich oder die MINTmacher in der Region IngolStadtLandPlus vorbildlich. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Um den Frauen eine stärkere Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, kommt der Modernisierung des ländlichen Raumes entscheidende Bedeutung zu, wozu mehr flexible Arbeitsmodelle, schnelles Internet und ein Umbau der Infrastrukturen für eine bessere Mobilität, Versorgung und Kinderbetreuung gezählt werden können. Auch über neue Dienstleistungsarbeitsplätze abseits der klassischen Frauenberufe wie Tourismus, Gastgewerbe, Verkauf oder Landwirtschaft sollte nachgedacht werden. Die BBSR-Autoren schlagen als Idee die Einrichtung von „Dienstleistungshöfen“ vor, wo verschiedene Dienstleistungen dezentral gebündelt sowie der Kontakt und Austausch unter den Beschäftigten, ob angestellt oder freiberuflich tätig, gefördert werden können. Über Coworking Space als kreatives Zentrum auch im ländlichen Raum haben wir ja schon berichtet. Eine Umnutzung des ehemaligen Gemeindeamtes oder eines alten Bauernhofes würde sich dafür gut anbieten.
Stärker öffnen müssen sich auch die Traditionsvereine und die politischen Gremien. Im Durchschnitt sind die Posten in den kommunalen Parlamenten zu drei Viertel mit Männern besetzt. Nur zehn Prozent der Landräte und lediglich fünf Prozent der Bürgermeister sind Frauen, hat der LandFrauenverband ermittelt. Das wirkt auf junge Frauen eher abschreckend und weibliche Vorbilder fehlen. Weitere Denkanstöße gegen das Abwanderungsproblem sind im Positionspapier der Landfrauen zusammengefasst.
Die Teilhabe junger Frauen ist auch ein Indikator für eine zukunftsorientierte Gemeinde- und Regionalentwicklung. Schließlich hat sich in Unternehmen die Vielfalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Talenten längst als Wettbewerbsvorteil erwiesen, der Chancen für innovative und kreative Lösungen eröffnet. Und die volle Einbeziehung von Frauen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Herbeiführung einer nachhaltige Entwicklung, wurde bereits in Rio 1992 in der Deklaration über Umwelt und Entwicklung als Prinzip verankert.
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