Der Landarzt: In Fernsehserien wird er romantisiert, doch im wahren Leben scheint er auszusterben. Viele Hausärzte kommen zügig ins Rentenalter, finden aber für ihre Praxis keinen Nachfolger, ist im Ärztemonitor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nachzulesen. Und laut einer Umfrage des Hartmannbundes vom August 2015 würden sich nur neun Prozent der Medizinstudenten gerne in ländlichen Gebieten niederzulassen.
Dabei gibt es in Deutschland eigentlich genügend praktizierende Ärzte: 2015 waren es rund 371.300. Die Ärztedichte liegt damit bei 3,8 Allgemein- und Fachärzten pro 10.000 Einwohnern, was im Vergleich zu den anderen Industrieländern im oberen Drittel liegt. Doch bei der Verteilung der Praxen gibt es ein großes Stadt-Land-Gefälle: Sehr viele Ärzte arbeiten in den Städten, während es auf dem Land an Medizinern mangelt. Laut Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung weicht trotz der neuen Bedarfsplanung von 2013 in 53,6 Prozent aller Landkreise die Hausarztdichte vom Bedarf ab. Warum also will niemand mehr auf dem Dorf praktizieren?
Auf die richtige Spur weist der Mediziner Prof. Ferdinand M. Gerlach, der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, im Länderreport des Deutschlandfunks vom 8.6.2015: „Sowohl die jungen Ärztinnen als auch die jungen Ärzte wollen vermehrt eher angestellt tätig sein, als sich selbständig als Kleinunternehmer zu betätigen. Sie wollen gerade am Anfang eher Teilzeit arbeiten. Sie wollen lieber im Team arbeiten, und sie wollen die Familie und den Beruf, Arbeit und Freizeit in ein Gleichgewicht bringen, und das ist in der typischen Einzelkämpfer-Praxis des Landarztes weniger denn je der Fall, und deshalb ist es gerade für diese Kolleginnen und Kollegen besonders schwierig, Nachfolger zu finden.“
Rezepte gegen die Mangelware Landarzt liegen daher in innovativen Gesundheitsmodellen, die auf eine regionale Zusammenarbeit der Ärzte, Gemeinden und anderer Akteure im Gesundheitswesen setzen und dazu beispielsweise Ärzte- und Gesundheitsnetze, Gesundheitskonferenzen und -regionen initiieren. Und die sich eben flexibel an den Bedürfnissen der nachrückenden Ärztegenerationen orientieren: Statt traditioneller Einzelpraxis sind lokale Gesundheitszentren in Form von Praxisgemeinschaften, Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren das favorisierte Arbeitsmodell, wo die Ärzte angestellt oder freiberuflich arbeiten können. Auch die Kommunen können hier wichtige Voraussetzungen schaffen und mit einer guten Infrastruktur, einer flexiblen Kinderbetreuung, einer kostenfreien Bereitstellung von Praxisräumen oder einem Arbeitsplatz für den Lebenspartner um Frau Doktor werben – denn der Hausarzt der Zukunft ist in der Mehrzahl weiblich: Zwei Drittel der Studienanfänger sind inzwischen Frauen. Die Gemeinde Büsum (4.733 Einwohner) direkt an der Nordseeküste ging noch einen Schritt weiter und hat vier Ärzte und zwei Ärztinnen gleich selbst eingestellt. Aus fünf zuvor selbstständig arbeitenden Hausarztpraxen entstand so 2015 die bundesweit erste kommunal geführte Gemeinschaftspraxis als Ärztezentrum Büsum gGmbH. Damit trägt die Gemeinde auch das wirtschaftliche Risiko des Praxisbetriebs. Die Geschäftsführung übernimmt die Ärztegenossenschaft Nord und die Ärzte sind am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt.
Wie man angehende Ärzte für das Leben und Arbeiten auf dem Land begeistern kann, zeigen die Landarztmacher im Bayerischen Wald mit ihrem vielseitigem Fortbildungsprojekt „Exzellent“. Bei Hausärzten in der Region Arberland (Landkreis Regen) können Medizinstudenten aus ganz Deutschland ein vierwöchiges Praktikum absolvieren und so ihr Wissen aus dem Studium in der Praxis anwenden. Die Stärken der Landartzmacher liegen in der individuellen Förderung und Betreuung der Teilnehmer und darin, dass sie ein positives Rollenbild vom Arztsein auf Land vermittelt bekommen: „Man lernt Verantwortung zu übernehmen. Man darf mitdenken. Man darf Kommentare abgeben, was auch nicht immer Standard ist bei einer starken medizinischen Hierarchie und dadurch profitiere ich sehr viel,“ hat ein Teilnehmer im Donau TV als Rückmeldung zum Projekt gegeben.
Um Patienten zu versorgen, die regelmäßige Betreuung und Überwachung benötigen, aber nicht mehr mobil genug sind, um in die Praxis zu kommen, bieten sich mobile Versorgungskonzepte an. In fast allen Bundesländern gibt es mittlerweile das „Gemeindeschwester-Modell“, bei dem die Mitarbeiter des Praxis oder freiberufliche Fachkräfte als NäPA (nichtärztliche Praxisassistentin), VerAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) oder EVA (Entlastende Versorgungsassistentin) im Einsatz sind, den Hausarzt entlasten und selbstständig die Patienten zu Hause aufsuchen. Vorbild ist das Modell AGnES (Arztentlastende Gemeinde-nahe E-Health-gestützte Systemische Intervention), das 2004 vom Institut für Community Medicine an der Universität Greifswald entwickelt und erstmals auf Rügen erprobt wurde. „Schwester Agnes“ war ein beliebter DDR-Fernsehfilm in den 70er Jahren und wird in den neuen Bundesländern mit der mobilen Gemeindeschwester assoziiert. Diese war tatsächlich von der DDR-Gesundheitspolitik erfunden worden, um den krassen Ärztemangel abzufedern, der unter anderem durch die Flucht vieler Ärzte gen Westen Ende der 1950er-Jahre entstanden war. Auf ihrer Simson Schwalbe knatterte die Gemeindeschwester von Hausbesuch zu Hausbesuch über die Dörfer und bildete so das Bindeglied zwischen Patient und Landarzt, der damals im Landambulatorium angestellt war. Das funktionierte wie eine kleine Poliklinik und war das Zentrum für die dörfliche medizinische Betreuung.
Naheliegend ist auch die Idee, dass der Arzt-Bus ähnlich wie beim Sparkassenbus oder dem mobilen Bürgerbüro ins Dorf kommt. Innovative Ansätze wie die rollende Zahnarztpraxis in der Uckermark oder die rollende Arztpraxis im Landkreis Wolfenbüttel stoßen aber auf rechtliche Hürden und Widerstände, weil Ärzte und Zahnärzte nicht zur „fahrenden Zunft“ gehören dürfen und deshalb Ausnahmegenehmigungen benötigen. Das Pilotprojekt in Wolfenbüttel wurde nach seinem Auslaufen Ende 2014 auch nicht weiter geführt.
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Sehr geehrte Familie Lilienbecker,
ich als Landarzt aus dem südlichen Landkreis Pfaffenhofen kann dem Artikel nur zustimmen. Denn die jungen Kollegen entscheiden sich heutzutage immer häufiger die Arbeit als Facharzt in der Stadt.
Häufig bleiben die Kollegen aufgrund der ständig drohenden Regresse aufgrund von Medikamentenverordnungen oder Verordnungen von Physiotherapie (der Arzt muß als Strafzahlung für „zu viel“ verordnete Therapien, oder zu teure Medikamente die Kosten selbst tragen, was häufig in die tausende bis zehntausende geht) und der überbordenden Bürokratie, als angestellte Ärzte in den Krankenhäusern oder im Angestelltenverhältnis. (Es geht den Kollegen dabei nicht um den Verdienst.)
Leider sieht man, wie der Artikel es schildert ein deutliches Stadt-Land-Gefälle.
Selbst in unserem Landkreis ist es für Hausärzte, die einen Nachfolger suchen, nur noch schwerlich möglich, einen Nachfolger zu finden (s. Artikel im Pfaffenhofener Kurier vom 08.06.16 über Frau Dr. Huber, Ilmmünster.)
Schuld sind aus meiner Sicht die bereits vor einem Jahrzehnt gesetzten politischen Rahmenbedingungen und die über lange Jahre gezielte Schwächung des Hausarztstandes. Letztendlich bleibt für die Zukunft nur eine gemeinsame Zusammenarbeit der Ärzte mit den Kommunen und die Hoffnung auf die göttliche Eingebung in der Landespolitik. Der Engel Aloisius sitzt ja bekanntermaßen noch im Hofbräuhaus.
Ihr Stefan Skoruppa aus dem sonnigen Jetzendorf
Lieber Skoruppa,
vielen Dank für Ihre klaren Worte und die Details aus dem Praxisalltag. Auf die Zusammenarbeit von Arzt und Kommune wird es in Zukunft ankommen!
Viele Grüße
Jens Lilienbecker