Mehrgenerationenhäuser sind ein Ort der Begegnung für Jung und Alt. Sie funktionieren wie ein „öffentliches Wohnzimmer“, wo jeder Mensch willkommen ist: Man kann ausruhen oder aktiv sein, Gleichgesinnte treffen und etwas Neues lernen. Wer will, bekommt Unterstützung oder Betreuung. Seit 2006 gibt der generationenübergreifende Ansatz den bundesweit 450 Häusern ihren Namen, die in fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten zu finden sind. Das erste MGH wurde im Mütterzentrum in der niedersächsischen Stadt Salzgitter (98.966 Einwohner) eröffnet. Für 2017 plant das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein neues Bundesprogramm zur Förderung solcher Häuser. Wer davon profilieren und bis 2020 jedes Jahr 40.000 Euro erhalten will, muss schnell sein: Die Bewerbungsphase läuft noch bis Ende Mai 2016.
Mit der generationsübergreifenden Arbeit wird das Prinzip der „traditionellen“ Großfamilie auf unsere heutige Gesellschaft übertragen, die durch den demographischen Wandel ja bekanntlich immer älter und die Jungen im Verhältnis dazu immer weniger werden. Auch Großfamilien gibt es heute kaum (mehr) und wenn, dann leben die Großeltern, Onkel und Tanten oft ganz woanders.
Doch die weit verbreitete Annahme, es hätte eine Entwicklung von der vorindustriellen Groß- zur modernen Kleinfamilie gegeben, ist ein Mythos – ebenso wie das Klischee der Familie als „Hort von Harmonie und Glück“, hat die Bundeszentrale für politische Bildung schön auf den Punkt gebracht. Dass drei Generationen unter einem Dach leben, war nämlich auch im 18. und 19. Jahrhundert eher die Ausnahme. Das lag an der kurzen Lebenserwartung und vor allem an der hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie daran, dass Knechte, Mägde, Gesellen, Lehrlinge und andere Schlafleute noch mit auf dem Hof wohnten. Ein Besuch im Freilandmuseum genügt, um einen realistischen Blick auf diese „gute, alte Zeit“ zu bekommen.
Neben der höheren Lebenserwartung besteht ein wesentlicher Unterschied zu früher in der Individualisierung der modernen Gesellschaft. Nicht mehr das generationsüberdauernde Wohl und Ansehen des Hofes steht im Vordergrund, sondern die individuelle Lebensgestaltung, für die es heute mehr Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten gibt. Als Gegentrend führt die Individualisierung jedoch zu einer Suche nach Gemeinschaft und (familärem) Zusammenhalt. Das klingt erst einmal paradox, beschreibt aber genau die Konzeption der Mehrgenerationenhäuser auf Seite 11: „Über Begegnung und Austausch zwischen den Generationen werden Neugierde, Verständnis und nicht zuletzt die Unterstützungsbereitschaft füreinander angeregt“. Nur so können in der Folge Patenschaften, Mentoring-Projekte, haushaltsnahe Dienstleistungen und nachbarschaftliche Betreuungsangebote auf freiwilliger Basis entstehen.
Den Vorteil aus Sicht der Kommune und wie man damit die Attraktivität als Wohn- und Lebensort erhalten und gleich die Nachmittagsbetreuung für die Schulkinder mit organisieren kann, erläutert der Bürgermeister von Löhnberg (4.292 Einwohner) in Mittelhessen, Dr. Frank Schmidt in der Dokumentation 129: Kommunale Impulse generationenübergreifender Arbeit des Deutschen Städte- und Gemeindebundes auf Seite 26:
„Das Mehrgenerationenhaus ist fester Bestandteil unseres Konzeptes einer familienfreundlichen Gemeinde. Im Mehrgenerationenhaus bündeln wir den Großteil der Betreuungsangebote und Teilhabemöglichkeiten für Jung und Alt – vom generationenübergreifenden Mittagstisch bis hin zu den verschiedensten Freizeitaktivitäten. Damit fördern wir auch das Miteinander der Generationen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Viele Seniorinnen und Senioren kommen in das Mehrgenerationenhaus, weil sie hier auch Kinder und Jugendliche treffen. Was früher eine Großfamilie geboten hat, wird heutzutage durch das Mehrgenerationenhaus ermöglicht“.
Bildnachweis © WavebreakMediaMicro fotolia.com